Camille Saint-Saëns Weihnachtsoratorium
Quare, fremuerunt (Chor, Nr. 6)
Ein stürmisches Streicherthema im Fortissimo leitet die Nr. 6 in d-Moll des Weihnachtsoratoriums ein. Der Rhythmus dieses eingängigen Themas durchzieht den ganzen ersten Teil der Nummer und verklanglicht den Text, der übersetzt lautet: «Warum toben die Heiden und warum schmieden die Völker Pläne, die doch zu nichts führen?» Nach der Eröffnung durch das Orchester, beginnt der Chor ebenfalls im Fortissimo homophon zu singen. Die langen Notenwerte in den Singstimmen und die darunter tobenden Sechzehntel der Streicher betonen den Ernst dieser Textstelle und versetzen das Publikum umgehend in eine düstere Stimmung.
Nach den ersten homophonen Einwürfen des Chores, folgt eine eher polyphone Passage, wobei der Rhythmus des Orchesterthemas weitergeführt wird. In den Singstimmen finden sich aufsteigende Melodien, aber auch absteigende, seufzend wirkende Motive, welche die Fragestellung des Textes und der damit verbundenen Dramatik verdeutlichen. Dieser polyphone Abschnitt wird durch einen stetig steigenden Bass vorangetrieben und intensiviert. Vor Abschluss dieser Passage finden die Singstimmen wieder einen gemeinsamen Rhythmus, während im Orchester eine Monte-Sequenz erklingt. Die Monte-Sequenz wird unter anderem durch einen chromatisch steigenden Bass charakterisiert, welcher dieser Passage noch mehr Spannung verleiht.
Nach einer leicht abgewandelten Wiederholung dieses polyphonen Abschnitts erreicht das Stück seinen Höhepunkt, der in Es-Dur, der neapolitanischen Stufe der Haupttonart d-Moll, erklingt. Durch den vorherigen dynamischen Höhepunkt in der Tonika erhält dieser (verselbstständigte) Neapolitaner eine besonders intensive, fast feierliche Wirkung. Mit einem zweigestrichenen b in der Sopranstimme, wird der bereits davor grosse Ambitus erweitert.
Plötzlich verstummen die tosenden Sechzehntel der Streicher, und der unisono singende Chor fragt flüsternd, drängend und schon fast vorwurfsvoll: «Quare?» Die daraufhin erklingenden kleinen Sekundstiege der Streicher verstärken die fordernde Haltung und lassen die Ruhe nach dem Sturm unbehaglich erscheinen.
Umso friedvoller und besinnlicher wirkt der zweite Teil der Nummer 6: Eine Bekenntnisformel (Gloria), die von sanften Orgelklängen eingeleitet wird. Die Dreifaltigkeit wird durch einen Taktwechsel zu ¾ unterstrichen, und der insgesamt ruhige, fast durchgehend homophone Satz mit einigen feierlich, lobenden Crescendi beantwortet den zuvor stürmischen Charakter mit Besänftigung und weihnachtlicher Hoffnung.