Skip to content

Camille Saint-Saëns Weihnachtsoratorium

Benedictus (Duett Nr. 5)

Von populärer Oper zu alter Musik und zurück

Generell lässt sich sagen, dass im Oratorio de Noel von Camille Saint-Saëns für ein Weihnachtsoratorium recht wenig Text vertont wird, der direkt aus der Weihnachtsgeschichte kommt. Stattdessen wird nach der kurzgehaltenen Weihnachtsgeschichte eine Art Collage aus altem Testament (bspw. Jesaja), dem Johannesevangelium und verschieden Psalmen kreiert.

An fünfter Stelle kommt ein Duett, welches größtenteils textlich auf einem „Benedictus“, so wie man es in den Messvertonungen findet, basiert. Das Benedictus, der „Lobgesang zu Gott“ ist in der klassischen Messe normalerweise ein Satz der Zuversicht ausstrahlt und das Vertrauen in Gott versinnbildlicht. In Camille Saint-Saens Oratorio de Noël, ist dessen Charakter etwas anders einzuordnen. Nicht nur die Tonart a-Moll, sondern auch die Wahl der Instrumentierung und die Stilistik färben das Benedictus klanglich neu. Auch wenn die kleinere Besetzung für ein Benedictus üblich ist, ist die Kombination aus Harfe, Orgel, Sopran und Bariton sehr originell. Die Harfe steht hier für die lieblichen Klänge des Himmels, während die Orgel als Kircheninstrument die religiöse Basis bildet.

Der Satz beginnt mit einen 3-taktigen Vorspiel aus Harfe und Orgel mit einer schönen jedoch einfach gehaltenen Kadenz in a-Moll. Das von Beginn an auftaktige Begleit-Pattern der Harfe zieht sich fast durch den gesamten Satz und wirkt rhythmisch ein wenig drängend. In Kombination mit der Harmonik entsteht eher eine melancholische, andächtige Atmosphäre. In Takt vier singt erstmals der Sopran und stellt ein Motiv vor, welches zu Beginn zunächst aus einer Dreiklangsbrechung der Tonika und danach der Dominante besteht. Das Motiv entwickelt sich anschließend melodisch weiter und endet nach zwei Anläufen in einer Kadenz. Der Bariton wiederholt dieses Motiv daraufhin in e-Moll. Nachdem beide einmal das Motiv gesungen haben, beginnt ein „Frage-Antwort“-Teil, in welchem sich Sopran und Bariton mit verschiedenen Motivbruchstücken abwechseln. Zudem kommt ein Wechselspiel aus dem Singen eines Haltetons der einen Stimme und einer darüber langen Koloratur der anderen Stimme.

Generell erinnert das Benedictus bisher stilistisch an die Petit messe solenelle von Rossini, welche im Gegensatz zu den bisherigen Messen einen opernhaften Charakter ausmacht. Der Satz von Saint -Saens ist sowohl melodisch als auch harmonisch sehr eingängig und hat etwas von einer „populären Oper“.

Ab Takt 39 beginnt allerdings ein stilistisch völlig anderer Teil. Der Sopran stimmt mit der Orgel einen Choral an, welcher anschließend vom Bariton wiederholt und schlussendlich einmal gemeinsam gesungen wird. Deus meus es tu , et confitebor tibi – das Versprechen: „Du bist mein Gott und ich werde es dir bekennen“ wird so als Gebet in einem hoffnungsvollen A-Dur vertont. Die für einen Choral typische Melodiestufenverbindung 1, 2, 4, 3 in Kombination mit entschleunigten halben Notenwerten und einer homophonen Satztechnik (s. Notenbeispiel) bringen einen sehr plötzlichen Stilbruch mit sich. Diese stilistische Wendung zur alten Musik wird nach dem Choral ohne Überleitung schlagartig wieder aufgehoben. Die Harfe steigt erneut in ihr herkömmliches Pattern in a-moll ein und verwandelt die hoffnungsvolle Stimmung in Ehrfurcht.

Auschnitt Nr. 5
Choral und Übergang zu nachfolgendem Teil; Homophone Satztechnik (violett) | Melodiestufen (grün) | Einsatz Harfenpattern | Schlagartiger Übergang Choral zu neuer Teil (rot)

Sopran und Bariton schaukeln sich immer weiter in die Höhe, bis die letzten Takte der Orgel überlassen werden, welche in einer etwas abrupten picardischen Terz das Benedictus beendet.