Camille Saint-Saens Weihnachtsoratorium
Expectans (Arie Nr. 3)
Die ruhige und eher gesetzte Arie Nr. 3 beginnt mit dem sanften und über dem E-Dur aufgehenden Vorspiel der Orgel, die – wie von Saint-Saëns vorgesehen ist – mit einem Streicherregister erklingen soll. Außerdem erhalten die Violoncelli ein Solo.
Mit dem Wort «Expectans» (lat. für „wartend“) findet das Mezzosopransolo den Einstieg in die ruhige Szenerie des Ensembles. Während die Orgel den Gesang unterstützt, antwortet das Streicherensemble mit bewegten Achtelfiguren darauf. Fast wie in einem Dialog wechseln sich diese Instrumentengruppen taktweise ab. Die Stimmung ist friedlich erwartend.
Am Ende der ersten Seite landen wir über die zu erwartende fünfte Stufe von E, also über H-Dur in der Varianttonart von E-Dur, die da wäre e-Moll. Sofort wird die Stimmung etwas dunkler und etwas unsicherer. Diese Art zu modulieren ist für eine barocke Arie eher atypisch, da man in barocker Zeit eine derartige Modulation etwa über die paralelle Molltonart der sechste Stufe komponiert hätte. Obwohl diese erste Seite der Arie durch viele Dinge, wie beispielsweise durch das Frage-Antwort-Spiel zwischen Orgel und Streichern, oder durch die Komposition der Orgel mit dem aufgefüllten Generalbass sehr barock wirkt, merkt man, dass Saint-Saens diese Kompositionsweise durch Kleinigkeiten in die romantische Musiksprache transferiert. So verleiht etwa die Melodie und die Lage der schon genannte Celli Solo-Partie der Musik einen romantischen Gestus.
Saint-Saëns baut diese Arie an eine bestimmte Stelle des Stücks ein. Die Weihnachtsgeschichte mit den Worten Lukas, ist schon geschehen und an dieser Stelle erlebt die Hörerschaft durch die Arie in einen Moment des Rezitierens und des Wartens.
Wir erleben das Warten mit Hilfe verschiedener Aspekte. Das blockartige Frage-Antwort-Spiel ist eines dieser Aspekte. Dort äussert sich das Warten ganz natürlich dadurch, dass immer eine Instrumentengruppe, bzw. die Gesangsstimme, darauf wartet, wieder an der Reihe zu sein. Auf der zweiten Seite erleben wir das Warten durch die 7-6 Konsekutive, welche den Anschein bringt, nicht endend zu sein.
Durch die Dramatik des e-Moll zieht sich dieser Effekt nochmal ein Stück. Am Ende der zweiten Seite zeigt sich das Warten durch den Orgelpunkt über E. Mit dem Orgelpunkt befinden wir uns wieder in E-Dur und damit im Übergang zur dritten und letzten Seite der Arie. Diese letzte Seite zeigt die Wichtigkeit der letzten Textzeile innerhalb dieser Arie: «Et intendit mihi», was aus dem Lateinischen übersetzt wird mit «und er neigte sich zu mir». Auch dieser Text wird einige Male wiederholt. Die Stimmung des Schlusses wirkt friedlich und zuversichtlich. Die Melodie der Gesangstimme unterstützt dieses Gefühl und landet am Ende ihrer letzten Phrase wieder auf der ersten Stufe und somit zu Hause in E-Dur. Das Nachspiel beinhaltet abermals das Violoncello-Solo, welche die Arie somit einrahmt.