Camille Saint-Saëns Weihnachtsoratorium
Et Pastores errant (Nr. 2 Récit und Chor)
Im „Récit et Chœur“ (Nr. 2) des Weihnachtsoratoriums von Saint-Saëns finden wir den Bericht aus dem Evangelium nach Lukas, Kapitel 2,8-14, wiedergegeben. Saint-Saëns hat sich entschieden, mit dem allgemeinen Kontext der Handlung zu beginnen und den Bericht dem Tenor-Solo gegeben: „Et pastores errant, in regione“. Traditionell übernimmt der Tenor in Oratorien immer die Rolle des Evangelisten. Der Evangelist gibt den geografischen Kontext („in derselben Gegend“) an, und durch die ersten Strophen dieses Kapitels wissen wir, dass es sich um die Stadt Bethlehem handelt und die Hauptfiguren dieser Passage die Hirten sind (Et pastores errant).
Der Einstieg des Tenors ist durch die einfache Wiederholung des Tones D gekennzeichnet, was die Repercussa eines gregorianischen Gesangs evoziert und dem Text einen psalmodierenden Aspekt verleiht, der den Text in den Vordergrund stellt. Das Hauptinteresse liegt auf dem Text nicht so sehr auf der Musik.
Eine Besonderheit dieses Ausschnitts ist allerdings, dass der Alt nun Rolle des Tenors übernimmt. Saint-Saëns nutzt den Wechsel der Stimmen, um die verschiedenen Teile der Erzählung hervorzuheben. Der Tenor erklärt den Kontext, und das plötzliche Erscheinen des Alts entspricht dem plötzlichen Erscheinen des Engels im Text. Der Alt singt die Worte „Der Engel des Herrn trat vor sie...“ (Lk. 2,9). Ein neuer Abschnitt der Verkündigung der Geburt Christi. Durch diesen Anfang versteht der Hörer leicht den Kontext. Dieses Muster endet mit den Worten „Sie bekamen große Angst“. Die Harmonie wird an dieser Stelle intensiver mit zahlreichen Spannungen in cis-Moll: Ein ernsterer Ton als der bereits verwendete, bevor der Tenor-Solo fortfährt mit „Und der Engel des Herrn sprach zu ihnen:“ Die Harminik hellt wieder etwas auf, erinnert an den Anfang, diesmal jedoch in A-Dur.
Der Einstieg des Sopran-Solo geht mit der wörtlichen Rede des Engels einher, der „Fürchtet euch nicht“ ankündigt. Saint-Saëns wiederholt dies zweimal unterschiedlich, mit einem Ausruf in einer höheren Stimmlage, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu erregen. Im Begleitwerk kündigt die Orgel das erste „Fürchtet euch nicht“ mit einem fis-Moll-Akkord an, um eine potenzielle Angst der Hirten zu signalisieren, und das zweite Mal, um Vertrauen zu wecken, hören wir einen A-Dur-Akkord.
In Takt 37 fährt der Engel fort: „Ich verkündige euch eine große Freude…“ Die Orgel nimmt eine Begleitung an, die an die klassischen „Lieder“ erinnert, wie man sie bei Mozart und Beethoven findet. Die Achtelnoten verleihen dem Lied eine gehende, leichte und bescheidene Atmosphäre. Der Begriff „große Freude“ wird durch das hohe fis der Sopranistin betont.
In Takt 45 wird das Arioso plötzlich durch einen liegenden Dominant-Akkord unterbrochen (siehe das Notenbeispiel unten); ein Kontrast entsteht durch die abrupte Unterbrechung des vorherigen Achtelpulses. Dieser Effekt der Vertikalität von Akkorden und Verlangsamung wird durch die Sopranstimme verstärkt, die nur eine Note pro Takt hat. Die Harmonie ist einfach, was die Aufmerksamkeit des Hörers anzieht. Durch diese Dualität ließ Saint-Saëns sich von barocken Rezitativen inspirieren, um einen Überraschungseffekt zu schaffen.
Der Überraschungseffekt, der durch den Wechsel der Begleitung erzeugt wird, wird durch das im harmonischen Hintergrund laufende „Romanesca-Modell“ noch auffallender. Das Modell steigt und führt zu einem Höhepunkt auf einem C-Dur-Akkord, gespielt auf der Orgel, einem tiefen und dichten Akkord auf dem Wort „Christus“, hervorgehoben in einer strahlenden Form, umgeben von Freude und Hoffnung.
In Takt 56 „Und dies sei euch ein Zeichen: Heute ist euch der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Dieser Abschnitt des Engels, dargestellt durch die Sopranstimme und begleitet von einer Melodie ohne Bass in der Orgel, verleiht diesem Ausschnitt einen himmlischen Charakter. Die dreifache Wiederholung der Begleitung verleiht der Stelle auch einen kindlichen und unschuldigen Ton.
In Takt 62 ein wird ein Fauxbourdon-Satz verwendet, der an die Kompositionen der Renaissance erinnert und mit einem B-Dur-Akkord endet. Der letzte Teil wird vom Bariton gesungen und ist geprägt vom Eintritt des Streichorchesters im Unisono mit Bogenvibrato, einer typischen Bogen-Technik des Barockstils. Dieser plötzliche Rhythmus in Achteln verändert den bisherigen Charakter des Satzes erneut und verleiht ihm einen bewegten und heroischen Duktus, was im Kontrast zum Rest der Satzes steht.